Du sitzt draußen in der Sonne. Vielleicht an der Spree, einem der vielen Seen rund um Berlin oder im Mauerpark. Seit vielen Wochen gibt es endlich wieder mehr Licht und warme Sonnenstrahlen, die dich wärmen. Alle kommen aus ihren geheizten Wohnungen heraus, die Jacke kannst du auch mal wieder ein paar Minuten ausziehen und es gibt so etwas wie Hoffnung. Das Frühjahr ist doch immer wieder die Zeit des Aufbruchs.
Ja, aber: Da ist die Pandemie. Deine Maske hast du in deiner Tasche. Und dass es überhaupt so warm ist! Das ist auch nur ein Zeichen des Klimawandels. Und warum sind hier eigentlich so viele Menschen um dich herum? Sollen wir nicht Kontakte meiden? Und schon hast du ein schlechtes Gewissen, weil du die Sonne so genießt, weil du überhaupt rausgegangen bist und überhaupt: Die Welt ist so kaputt, wir sollten überhaupt alle nach Hause gehen, unser plastikfreies Leben sortieren und Gemüse auf dem Balkon anbauen.
Es ist dieses „Ja, aber…“
// „Ja, die Sonne tut mir gut. Aber…!“
// „Ich habe es geschafft, die letzten Tage mal das Auto stehen zu lassen und mit dem Fahrrad zur Arbeit zu fahren. Aber…!“
// „Ich war die Woche zwei Mal laufen, aber…!“
// „Ich liebe meine Partnerin sehr, aber…!“
Kennst du das? Viele von uns sind Profis in der Selbstkasteiung. Und es fällt uns oft schwer, uns über das zu freuen, was wir haben. Heike und ich haben beide das Buch „Die Seele des Geldes“ von Lynne Twist gelesen. Dort geht es um die Beziehung vom Geld zum Leben und unser Money-Mindset. Die Autorin nennt dort drei toxische Mythen rund ums Geld, die sich auch wunderbar auf alle anderen Lebensbereiche übertragen lassen:
Die ersten beiden sind:
1) Es gibt nicht genug.
2) Mehr ist besser.
In der Sonne sitzen und den Moment genießen. Für einen Bruchteil einer Sekunde sind wir absolut in dem Moment und genießen. Dann fällt uns ein, dass es eigentlich noch schöner wäre, wenn wir jetzt ein Stück Kuchen hätten und eine Stunde länger Zeit. („Es gibt nicht genug“). Aber wir haben ja nicht gebacken, haben lieber ausgeschlafen. Mist! Und leider zieht die Sonne jetzt auch bald schon wieder um die Hausecke („Mehr ist besser“). Hätten wir uns mal früher rausgesetzt und gestern Abend nicht so lange Serien gebingt. Dann hätten wir jetzt mehr Sonne genießen können, die ja auch so wichtig für die Bildung von Vitamin D ist.
Also, es ist schon schön hier zu sitzen, aber… Wie oft denken wir, dass zu unserem Glück noch etwas fehlt? Wie oft, dass wir von etwas nicht genug haben, um wirklich zufrieden zu sein? Lass es Geld sein, lass es Zeit sein oder Beziehungen. Damit nehmen wir uns selbst die Freude an den kleinen Dingen und leben in der Illusion, dass Glück, Zufriedenheit und ein gutes Leben messbar an äußeren Umständen sind.
Was kann ich schon tun?
Dieses „Ja, aber…“ kennen wir auch aus einem ganz anderen Kontext. Wir alle wissen um die vielen Krisen, mit denen wir konfrontiert werden: Die Klimakrise, der Wandel der Wirtschaft, krisengebeutelten Länder, Flüchtlingskrisen, die politische Krise… Das scheint für manche ganz weit weg zu sein. Etwas, für dass sie sich nicht verantwortlich fühlen.
// „Ja, das Schreddern von Küken ist schlimm, aber…“
// „Ja, die schmelzenden Polkappen, das ist nicht schön, aber…“
// „Ja, früher klebten mehr Insekten auf meiner Windschutzscheibe, das ist mir aufgefallen, aber…“
// „Ja, es schlimm die Bilder von den Menschen in Moria zu sehen, aber…“
Das ist der dritte toxische Mythos:
3) So ist es eben.
Mal ist es eine Machtlosigkeit, die wir spüren. Die „da oben“ sind daran schuld, dass die Menschen in Griechenland leiden. Die an den Machthebeln in den Unternehmen sitzen, treffen die Entscheidungen, nicht ich. Und wenn „da drüben“ ganze Landstriche durch das Klima veröden, dann können wir hier ja nichts dafür, oder?
Mal ist es aber auch eine Überforderung mit der Komplexität unserer Welt. Viele von uns sind vollends damit beschäftigt, das eigene, kleine Leben am Laufen zu halten. Wie sollen wir da noch die Welt retten? Zum Schluss ist es doch, wie es ist, oder?
Sprache formt unser Denken
Vielleicht nicht. Lasst uns in kleinen Schritten anfangen, indem wir versuchen, anders über unseren Handlungsspielraum zu denken. Wie wir über etwas denken, hängt auch ganz entscheidend von unserer Sprache ab. „Die Grenzen meiner Sprache sind die Grenzen meiner Welt“ schrieb Ludwig Wittgenstein in seinem Tractatus. Und tatsächlich: Sprache konstruiert unsere Wirklichkeit. Man sieht es an dem kleinen Wörtchen „Frollein“. Früher war es ein alltägliches Wort, unverheiratete Frauen wurden so ganz öffentlich gerufen. Heute wäre das undenkbar, etwas zuckt vor dem Hintergrund von Female Empowerment und #metoo in uns zusammen.
Und auch das Wörtchen „aber“ macht etwas mit uns. Es schmälert jedes „Ja“. Es nimmt ihm die Kraft, negiert es fast und greift zutiefst in die Situation ein, verändert sie. Was es nicht verändert, ist die Sache, die hinter dem Aber kommt:
Wenn meine Yoga-Lehrerin im Online-Unterricht nach dem ersten wärmeren Tag des Jahres sagt „Es war so schön gestern in der Sonne zu sitzen und wie angenehm warm es schon ist!“ und eine der anderen Schülerinnen schneller als ich ist und sagt „Ja, aber das ist zu früh!“ ist der Genuss im Eimer UND die Welt haben wir damit auch nicht gerettet. Eine echte Loose-Loose-Situation.
Stell Dir vor, Du diskutierst mit einem Freund über die neue Landwirtschaft, darüber wie wichtig Du es findest, weniger Fleisch zu essen. Dein Gegenüber antwortet mit „Ja, kann sein, aber ein Steak gehört bei mir einfach auf den Teller“. In eurem Gespräch kommt ihr keinen Meter weiter, weil auf jeden deiner Vorschläge ein solches „Ja, aber…“ folgt. Es entsteht eine Distanz, die jeden Raum für ein offenes Nachdenken und eine offene Diskussion nimmt.
Wie wäre es, wenn dein Gegenüber sagen würde „Ja, ich verstehe was Du meinst, und du hast recht, die Situation ist nicht gut und weniger Fleisch essen ist sinnvoll und ich versuche es manchmal, obwohl es sehr schwer ist und Fleisch mir wirklich gut schmeckt.“ Hier bleibt ihr in Verbindung, du kannst ihm versichern, dass es dir auch schwer fällt und gemeinsam könntet ihr im nächsten Schritt laut darüber nachdenken, an welchen Stellen ihr Fleisch weglassen könntet. Oder dein Gegenüber sagt „Ich höre, was dir daran wichtig ist. Und ich esse Fleisch, denn es tut mir gut.“ Vielleicht seid ihr nicht einer Meinung, so oder so bleibt ihr in Verbindung und könnt gemeinsam denken und fühlen.
Versucht es doch einmal mit „Ja, und…“ anstatt „Ja, aber…“.
Achte in nächster Zeit doch einmal darauf, wann dir ein „Ja, aber…“ auf der Zunge liegt und atme tief ein und aus. Formulier deinen Satz um und setze ein „und“ ein – vielleicht bemerkst du, wie dir dieses „und“ mehr Platz im eigenen Denken lässt und auch Gespräche mehr Tiefe bekommen.
Wenn du etwas gegen den Klimawandel tun möchtest, tu es einfach.
Und wenn du die nächsten Tage in der Sonne sitzt, dann freu dich über das Licht und die Wärme – ganz ohne „aber“.