Wer hat Angst vor…?

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„Und ich hab‘ gedacht, die Angst ist was Schlechtes?!“, sagte die Tage ein junges Mädchen zu mir im Coaching. Wie reagierst Du auf Angst? In letzter Zeit begegnet mir immer wieder, dass die Angst keinen leichten Stand hat. Sie quält uns, ist lästig, muss weg, soll gar nicht erst auftauchen und hindert uns Dinge zu tun. Da möchte man keine Angst sein. Tut sie doch Alles, um uns zu erreichen, wird sie tendenziell eher abgewertet.

Dieses scheinbar willkürliche Monster, was Gefahr läuft, uns zu überrollen, zu verschlingen, muss offenbar kontrolliert werden. Nur richtig in den Griff bekommen werden. Soweit die allgemeine Überzeugung. Und dafür wird Einiges getan. Partnerschaften werden trotz Sehnsucht nicht eingegangen, Jobs trotz Potential nicht angenommen, Konflikte mit dem Nachbarn über Jahrzehnte nicht geklärt, Schmerzen beim Arzt nicht untersucht, bis hin zu Verschwörungen über das Land. Es wird ein recht hoher Preis in Kauf genommen, um das Gefühl der Angst und der Unsicherheit nicht zu spüren.

Die Angst ist evolutionsbedingt eine überlebenswichtige Emotion und schützt vor möglichen Gefahren. Wenn die Angst also ein wichtiger Impulsgeber ist, der uns mit allen körperlichen Symptomen aufweckt, um Reaktionen zu ermöglichen, dann liegt es offenbar an den Bewertungen dieser Impulse, die den Umgang damit prägen. Ob ich denke ‚Hilfe, ich muss mich schützen, sonst werde ich verletzt‘, oder ‚Ich kann mit Allem was kommt, umgehen und mache es in meinem Tempo’, macht einen deutlichen Unterschied.

Die Angst vor Corona schafft, was der real drohende Klimawandel bislang nicht schaffte. Menschen fliegen weniger, Projekte werden in zwei Tagen umgesetzt, die sonst ein Jahr Vorlauf brauchten, die Politik entscheidet, kurzfristig und schnell. Das zeigt, welches Potential hier möglich ist. Und es zeigt auch, nebenbei gesagt, dass die Angst vor den Konsequenzen des Klimawandels offenbar immer noch weit weg ist.

Der Neurobiologe Gerad Hüther sagt „Wenn sich eine Belastung als kontrollierbar erweist, kehrt sich plötzlich alles um, aus einer Bedrohung wird eine Herausforderung, aus Angst wird Zuversicht und Mut, aus Ohnmacht wird Wille“ Der Wunsch nach Kontrolle macht also Sinn. Wir brauchen das Gefühl, die Situation bewältigen zu können. Es erfordert aber weiter zu gehen. Es geht um eine Kontrolle, die Handlungsfähigkeit ermöglicht, um dadurch denken, fühlen und handeln zu können.

Zurück zu meiner Klientin, die sich Selbstbewusstsein wünschte und von ihrer Angst gefangen und im Griff fühlte. Sie fand heraus, dass ihre Angst sie davor schützte, sich zu schnell zu sehr zu zeigen. Dafür hatte sie die Sicherheit, dass sie nicht Gefahr läuft, jemand zu sein, der sie nicht sein will. Egoistisch und selbstbezogen. Sie war sicher in dem Selbstbild der Frau, die sich um Andere kümmert und sich zurücknimmt. Außerdem brauchte sie sich so nicht unter Beweis zu stellen, ob sie diese selbstbewusste junge Frau wirklich sein kann. Und solange die Angst sie zurückhielt, brauchte sie auch nicht dafür losgehen. Es war sicherer, sich danach zu sehnen, als es zu tun. Doch es bedeutete für sie auch viel Unsicherheit und Frustration und kostete sie ganz gesehen zu werden.

Spannend war, dass sich durch den Dialog die Wahrnehmung der Angst wandelte. Aus dem Monster, was sie sich ohnmächtig fühlen ließ, wurde ein wahrer Freund, der sie unterstützt und wirklich 100% für sie ist. Der Prozess, in den Dialog zu gehen, ermöglichte ihr mit allen Gefühlen, die dahinter lagen, in Kontakt zu kommen und wirklichen Handlungsspielraum zu erlangen. Denn erst jetzt hatte sie den Raum, die Freiheit, wirklich zu wählen, wie sie handeln möchte. Sie ist nun in der Lage, selbstermächtigt zu entscheiden, wie weit sie sich zeigen möchte.

Die Paartherapeutin Esther Perel sagt, es ist die Qualität unserer Beziehungen, die die Qualität unseres Lebens bestimmt.
Was verändert sich, wenn wir die Angst als PartnerIn der oder die gesehen und gehört werden will, wahrnehmen? Was ist, wenn ich mit der Angst in einen Dialog trete? Welche Botschaft kommt an? Probier es mal aus. Frag dich, wozu ist meine momentane Angst gut? Was ermöglicht meine Angst?

So kannst Du herauszufinden, welches Potential dahinter für Dich schlummert. Wenn wir bereit sind in die Auseinandersetzung zu gehen, entfacht sich das wahre Potential der Angst für uns. Ob im individuellen System eines einzelnen Menschen, oder als System Staat, entfacht dann vor uns, worum es eigentlich geht. Verkrustete alte Strukturen haben dann die Chance aufzubrechen und ein gehbarer Weg zeigt sich, damit wir so leben können, wie es unserer Sehnsucht entspricht.