Sei im Einklang mit dir – auch wenn’s stresst

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Kennst du auch einen Kollegen, der immer die Ruhe selbst zu sein scheint? Er ist charmant, dabei schlagfertig und hat immer ein offenes Ohr. Und dann bricht es doch immer wieder aus ihm heraus, dabei kann der Anlass noch so unbedeutend sein: Ein Fehler bringt ihn beim Vorgesetzten in Erklärungsnöte. Eine Mitarbeiterin legt unbeabsichtigt eine seiner Wissenslücken offen – oder er hat einen Termin verschwitzt. 

Dann wird der eigentlich freundliche Typ hitzig, läuft rot an und nimmt eine Körperhaltung ein, bei der die Kollegen schon in weiser Voraussicht sprichwörtlich in Deckung gehen. Es ist jetzt egal, wer als nächstes in seine Nähe kommt, er wird auf jeden Fall die Zielscheibe seines Ärgers werden. Warum hat ihn auch niemand an diesen Termin erinnert? Was bildet sich dieser Mensch eigentlich ein, ihn auf seine vermeintliche Unkenntnis hinweisen zu müssen? Und für den Fehler ist natürlich die Mitarbeiterin schuld, die den ganzen Tag nur in der Teeküche rumsteht und mit den Kolleginnen schnackt. 

Was ist dein Lieblingsstressmuster?

Die Familientherapeutin Virginia Satir (1916-1988) würde diesen Typ Mensch einen „Ankläger“ nennen. Er sieht die Schuld bei allen anderen, nur nicht sich selbst. In stressigen Situationen fühlt er sich in seiner Integrität verletzt, seine Verteidigung ist offensiv. Da solche Stresstypen selten zu überhören und -sehen sind, kennt sicher jeder von uns so eine Person. 

Aber neben diesem anklagenden Typ beschreibt Satir drei weitere Persönlichkeiten mit spezifischen Stressmustern. Sie sind etwas schwieriger zu erkennen und erinnern: Diejenigen, die versuchen die offensichtlich schwierige Situation wegzulächeln und zu beschwichtigen.

Den Typ, der versucht, alles auf einer objektiven Ebene (Was soll das eigentlich sein?) zu betrachten – dabei aber völlig die individuellen Perspektiven und Emotionen der Beteiligten außer Acht lässt (Wer schon einmal versucht hat, Beziehungsprobleme auf einer sachlichen Ebene zu klären, weiß, wie unproduktiv das sein kann.). 

Und dann gibt es noch den Typ Mensch, der durch einen hohen Aktionslevel auffällt. Er spricht und bewegt sich viel und lenkt dabei davon ab, dass er absolut nichts zur Problemlösung beitragen will und kann. 

Wir tappen immer wieder in dieselbe Falle…

Ihnen allen gemeinsam ist, dass sie mit ihrer besonderen Körperhaltung, Gestik und Kommunikation ein niedriges Selbstwertgefühl überspielen möchten. Sie verfallen in Verhaltensmuster, die immer gleich sind und nicht zur jeweiligen Situation passen. Aber: Es geschieht immer mit einem Grund, den es zu erkunden gilt. Wir möchten zumeist vermeiden, negative Erfahrungen aus der Vergangenheit noch einmal machen zu müssen. 

  • Wir schreien unsere Wut heraus, weil wir vielleicht etwas beschützen möchten. 
  • Wir ducken uns vor Kritik, weil wir etwas fürchten. 
  • Wir bestehen auf Fakten und Zahlen, weil wir etwas in uns nicht berühren möchten.

Ganz klar: Es kann manchmal angemessen sein, eine hitzige Situation durch eine besonders logische Argumentation oder ein schlichtendes Gemüt herunterzukühlen. Es kann auch sinnvoll sein, festgefahrene Situationen durch einen völlig absurden Witz oder ein ablenkendes Thema zu lockern. Im besten Fall entscheidet der Moment, wie wir handeln. Wenn wir dazu nicht in der Lage sind, handeln und kommunizieren wir inkongruent. Und das macht uns starr, innerlich und äußerlich. 

„Ich glaube daran, dass das größte Geschenk, das ich von jemandem empfangen kann, ist, gesehen, gehört, verstanden und berührt zu werden. Das größte Geschenk, das ich geben kann, ist, den anderen zu sehen, zu hören, zu verstehen und zu berühren. Wenn dies geschieht, entsteht Kontakt.“

(Virginia Satir)

Das Ziel sollte es sein, ein kongruentes Leben zu führen. Verankert im Hier und Jetzt, sind wir in der Lage, Situationen einzuschätzen und unser Handeln darauf auszurichten. Dazu muss ich mein Gegenüber wirklich sehen, versuchen, ihm zu verstehen – und auch in mich selbst hineinfühlen können:

  • Wie geht’s mir jetzt gerade?
  • Was fühle ich?
  • Welche Position nehme ich ein?

Kommst du immer wieder in Situationen, in denen deine Reaktion eher dazu beiträgt, die Situation zu verschlimmern? Oder triffst du aufgrund deines Stressmusters falsche Entscheidungen, weil du beispielsweise als der „rationale Typ“ wichtige emotionale Faktoren nicht in deine Entscheidungsfindung miteinbeziehst? Dann ist es an dir, dein persönliches Stressmuster zu erkennen und darauf hinzuarbeiten, aus deiner Position hinaus ein kongruentes Verhalten zu erlernen: Sei wahrhaftig und reagiere, wie es die Situation erfordert.

Übung: Und wer bist du?

Stell dir vor, du hattest einen langen, anstrengenden Tag und stehst mit deinem Fahrrad in der Bahn. Eine Frau kommt rein und beschimpft dich heftig, warum du ausgerechnet zu dieser Zeit mit einem Fahrrad in der Bahn stehen musst!
Was ist deine spontane Reaktion?

Mach einen kleinen Check:

  • Bist du eher damit beschäftigt wie es der Frau wohl gerade geht oder bist du bei dir?
  • Verteidigst du dich eher oder versuchst du die Frau zu beruhigen?
  • Gehst du auf den Vorfall ein oder sprichst du eher auf der Beziehungsebene?
  • Wie ist deine Körperhaltung?
  • Wie ist deine Stimme? Eher laut und schrill oder piepsig oder monoton?

Und nun versuche, bewusst anders zu reagieren.

Bevor du reagierst, nimm dir einen kleinen Moment und konzentriere dich auf deinen Atem und folge mit deiner Aufmerksamkeit nun für mindestens eine Minute dem Atem von der Nase bis tief in den Bauch und zurück. Und spüre: Was ist gerade dein Gefühl? Bist du traurig, wütend, aufgewühlt? Und aus dem Gefühl: Was ist gerade dein Bedürfnis? Brauchst du es, gehört zu werden? Oder eine kurze Pause? Oder Anerkennung?

Versuche regelmäßig in dich hineingehören und in stressigen Situationen emphatisch zu reagieren und in Kontakt mit dir und deiner Umwelt zu bleiben🙏🏻

Du bist Coach und möchtest mehr zu den einzelnen Stressmustern erfahren? Dann komme in „DIE METHODENWERKSTATT“ , nächster Termin: 25.05.23.